Arbeiten unter schwierigen Bedingungen (Credit: Züblin)
Working under difficult conditions (Credit: Züblin)

Vor Anker in der Stadtstraße

Schiff ahoi! Es muss nicht immer die U-Bahn sein, Wien hat noch viel mehr zu bieten. Diesmal gehen wir in der Stadtstraße vor Anker. Die 3,2 km lange Stadtstraße soll in der Donaustadt entstehen und die Seestadt Aspern mit der Südosttangente verbinden. Die Besonderheit dabei: Sie ist knapp zur Hälfte untertunnelt, durch den hohen Grundwasserstand müssen viele der Bauarbeiten folglich unter Wasser stattfinden. 

Warum es dazu Anker braucht und wie genau wir das Projekt mit SCALES begleiten, erzählen uns Techniker und Digitalisierungsexperte Sebastian Gerhard von ZÜBLIN Spezialtiefbau und Philipp Eder, der für das Projekt von eguana-Seite zuständig ist. 

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Die Stadtstraße, die entstehen soll, verläuft zur Hälfte in Tieflage und hat zwei Tunnelbauwerke: den Tunnel Emmichgasse und den Tunnel Hausfeldstraße. „Es handelt sich um eines der Großprojekte in Wien“, erklärt Gerhard. „Das heißt, es sind viele Gewerke gleichzeitig am Baufeld beschäftigt und trotz der großen Ausdehnung der Baufelder ist Platz – wie so oft – auch hier Mangelware.“ Die beiden Tunnel werden deshalb in der sogenannten Deckelbauweise errichtet: Bei diesem Tiefbauverfahren werden zunächst Bohrpfahlwände hergestellt. Auf diese Wände wird der Deckel des Tunnels betoniert. Anschließend erfolgt der Aushub unter der bestehenden Decke. Dadurch ist die Geländeoberfläche schnell wieder befahrbar, was im engen, städtischen Bereich sehr wünschenswert ist.  

„Eine der größten Herausforderungen bei der Errichtung der Tunnel ist der hohe Grundwasserspiegel. Das heißt, das Tunnelbauwerk muss dicht sein und gegen Auftrieb gesichert werden. Hier kommen wir ins Spiel. Wir bauen eine rückverankerte Dichtsohle. Dafür werden zunächst Mikropfähle hergestellt, die als Anker dienen“, so Gerhard.

DER HOHE GRUNDWASSERSPIEGEL STELLT EINE HERAUSFORDERUNG DAR (CREDIT: ZÜBLIN)
DER HOHE GRUNDWASSERSPIEGEL STELLT EINE HERAUSFORDERUNG DAR (CREDIT: ZÜBLIN)
DER HOHE GRUNDWASSERSPIEGEL STELLT EINE HERAUSFORDERUNG DAR (CREDIT: ZÜBLIN)
Der hohe Grundwasserspiegel stellt eine Herausforderung dar (Credit: Züblin)
DER HOHE GRUNDWASSERSPIEGEL STELLT EINE HERAUSFORDERUNG DAR (CREDIT: ZÜBLIN)

Wie funktioniert eigentlich ein Anker?

Philipp Eder, unter anderem Architekturstudent, weiß, wie man komplexe Bau-Themen einfach erklärt – und wie könnte das im Fall eines Verpressankers besser gehen als mit einem regulären Anker?

„Durch das Vorspannen des Ankers wird das Bauwerk gegen die Kräfte des Baugrundes gesichert. In unserem Fall ist das das Schiff, das wir mit dem Anker und der Ankerkette – also dem Zugglied – sichern wollen.“

Der Anker bewahrt das Schiff vor dem Davontreiben (beziehungsweise das Bauelement vor dem Davonrutschen). Dafür braucht es Zugkraft – aber nicht zu viel, denn sonst (wie in der zweiten Darstellung ersichtlich) wird das Schiff unter Wasser gezogen (und das Bauwerk bricht zusammen).

Ist die Ankerkette aber zu lang, sieht vielleicht auf den ersten Blick alles in Ordnung aus (siehe Abbildung 3), bei der nächsten Strömung wird das Schiff aber davongetrieben – und das nicht ausreichend stabilisierte Element rutscht bei der ersten Erschütterung weg.

Credit: ANP – SYSTEMS GMBH/Eder

‚Einfach‘ kann jeder 

„Die Mikropfähle werden anschließend mit einer DSV oder Unterwasserbetonsohle verbunden“, so Gerhard. So wird der Boden für den Tunnel hergestellt. „Das besondere für uns ist dabei, dass wir unter weiteren herausfordernden Bedingungen arbeiten. Die Trasse wird zweifach von der U-Bahn- und S-Bahnlinie gekreuzt. Damit der Bahn-Betrieb aufrechterhalten werden kann, wurden im Vorfeld zwei Stahl-Hilfsbrücken errichtet, unter welchen das Bohren nur in beschränkter Höhe möglich ist. Dadurch war eine Kürzung der Masten notwendig und unsere Geräte mussten für den besonderen Einsatz extra angepasst werden. Durch das hohe Grundwasser ist auch das Bohren von einer auf Schienen gelagerten Arbeitsplattform und von schwimmenden Pontons notwendig.“  

Wasser, Anker, was fehlt noch, um das Bild komplett zu machen? Taucher natürlich!  
Diese kamen beispielsweise zur Überprüfung der Überwüchse von der Ankerauffüllung, Kontrolle der DSV- und SOB-Wand sowie zur Montage der Kopfplatten bei der Unterwasserbetonsohle zum Einsatz. 
 
Die Sicht sei zwar schlecht, so Gerhard, die Wasseroberfläche sehe von oben betrachtet aber dennoch teilweise sehr einladend aus – wie in der Karibik.

Taucherhelm (Credit: Bernd/pixabay)

Gerhard betont: „Unter enormem Zeitdruck haben wir im Gleisbett der Wiener Linien während der Gleissperre in den Sommerferien gearbeitet. Trotz fehlender Pufferzeit haben wir es aber rechtzeitig geschafft!“ 

Und eine weitere Schwierigkeit gibt es, denn die Mikropfähle müssen sehr lagegenau in den Untergrund eingebracht werden, weiß Gerhard. „Dadurch kann die Gewi-Stange nicht einfach „fallen gelassen“ werden, wie sonst üblich, sondern sie muss mittels Montagestab eingehoben werden. Da wir die Anker nachverpressen, müssen im Vorfeld an die Anker Nachverpressschläuche gebunden werden. Diese dürfen nicht beschädigt werden, um das Aufsprengen mittels Wasser und ein anschließendes Nachverpressen mit Zementsuspension zu ermöglichen.“ 

Mit SCALES den Überblick behalten  

Rund 6.000 Anker werden in Summe für das Projekt benötigt – und pro Pfahl werden sechs Herstellungs- und Injektionsprotokolle erstellt. Gar nicht so leicht, dabei den Überblick zu behalten. 

Schwerpunkt von eguana ist das Datenmanagement von Injektionen. Da jeder Anker mit einer Injektion zusammenhängt, lag es nahe, auch diese Technologie und die damit zusammenhängenden Datenflüsse zu digitalisieren und visualisieren. Dafür haben wir gemeinsam mit ZÜBLIN Spezialtiefbau für das Projekt Stadtstraße eine spezielle Eingabemaske für die Bohristen entwickelt. 

Diese müssen lediglich die entsprechenden Eingaben zu den neun Parametern machen. Neun Parameter, das klingt nicht wenig, ist es auch nicht – aber sehr viel einfacher, als eine händische Eingabe und anschließende Auswertung. Unsere Protokollierung in eguana SCALES kombiniert anschließend sämtliche Protokolle vollautomatisch zu einem Gesamtprotokoll. So machen wir nicht nur den Verpressdruck sichtbar, mit dem der Anker das Bauwerk sichert, sondern auch Ankertyp, Bohrtiefe, eingebrachtes Material etc.  

Durch die Protokollierung „sind wir in der Lage, von jedem Pfahl genaueste und nachvollziehbare Angaben über dessen Herstellung zu erhalten. Die gewonnenen digitalen Daten kommen direkt vom Gerät und dessen Bediener und können dann sehr unkompliziert ausgewertet werden“, so Gerhard. Jede Leistung wird somit genauestens dokumentiert und nachvollziehbar und das Fehlerpotenzial minimiert. 

Alles easy, sollte man meinen. Ein paar kleinere Startschwierigkeiten gab es aber trotzdem: „Zu Beginn gab es bei einigen Punkten das Problem, dass die Protokolle nicht automatisch miteinander verknüpft wurden, obwohl die Nummerierung offensichtlich richtig eingegeben wurde“, erzählt Gerhard. „Es hat sich dann nach mehreren Stunden der Fehlersuche herausgestellt, dass der Buchstabe O (Ost) der Zahl 0 (Null) zum Verwechseln ähnlich sieht und die Eingabe eben doch falsch war.“ 

Zukunftsmusik 

„Datenmanagement, so wie wir es machen, macht sonst kaum jemand“, weiß Philipp Eder. Dass die meisten Arbeiter mit einer derartigen Form der Aufzeichnung also noch nicht in Berührung gekommen sind, ist wenig verwunderlich. „Es gibt Protokollierungen für den Spannvorgang, aber sonst nicht viel. Es wäre cool, wenn wir auch hier automatische Aufzeichnungen machen könnten. Dann könnten wir das Thema wirklich zur Gänze abdecken, von der Bohrung über die Injektion bis hin zum Spannvorgang.“ Dafür, so Philipp, fehlt in den meisten Fällen lediglich der entsprechende Datenlogger.  

Die Zukunft der Anker sieht er in 3D-Modellen des tatsächlichen Einbaues inklusive aller relevanten Zusatzinformationen. In Zukunft, glaubt Gerhard, würden generell mehr Maschinendaten aufgezeichnet, „wie zum Beispiel die Bohrtiefenerfassung. Dadurch sind weniger Eingaben durch den Bohrmeister notwendig. Ein automatisches 3D As-Built-Modell der hergestellten Anker, die im BIM-Modell des Bauherrn weiterverwendet werden können, wäre ein weiterer Schritt der Digitalisierung.“ 

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Sebastian Gerhard, Digitalisierungsexperte (Credit: Züblin)

Über Sebastian Gerhard  

Geboren und aufgewachsen im Süden von München, kam der Züblin-Techniker bereits 2010 nach Wien, um Bauingenieurswesen zu studieren. An seiner Faszination für Baustellen, die ihn seit seiner frühesten Kindheit nicht loslässt, ist laut Sebastian Gerhard sein Vater, ebenfalls Bauingenieur, nicht ganz unschuldig. 

Aber auch abseits der Stadtstraße ist er gut beschäftigt: Schwimmen, Radfahren, Tüfteln am Mofa und Basteln am 3D-Druck – außerdem bäckt der gebürtige Bayer nicht nur Brezen, sondern auch gute italienische Pizza!  

Veröffentlicht am
Kategorisiert in eguana.team

Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.