Credit: Tu Graz

Dem Untergrund auf den Grund gehen

Automatisierte Bestimmung von Bodenparametern  

Was haben ein Professor für Numerische Geotechnik und ein Software-Entwickler gemeinsam? 

Nein, wir wollen hier nicht auf ihre Liebe für Zahlen und Formeln oder ihr ausgeprägtes logisches Denkvermögen hinaus. Uns geht es um das sogenannte „Blackbox-Problem“, das beiden die Arbeit erschwert. 

Was es damit auf sich hat, wie man Bodenparameter mithilfe einer Künstlichen Intelligenz leichter abliest und worum es bei dem Forschungsprojekt von Franz Tschuchnigg von der Technischen Universität (TU) Graz geht, erklären wir im Blogbeitrag!  

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Was die KI hinter verschlossenen Türen tut 

Erinnert ihr euch daran, als ein US-amerikanischer Hautarzt einen Algorithmus entwickeln ließ, der anhand von Bildern von Hautveränderungen feststellen sollte, ob es sich um gutartige oder bösartige Tumore handelt? Ein wundervolles Beispiel Künstlicher Dummheit, denn die KI lernte, Tumore anhand der oft beigelegten Lineale zu erkennen; befand sich ein Lineal im Bild, erkannte die KI es automatisch als Tumor.  

Das Problem bei KI kann folglich sein, dass wir einen Algorithmus füttern und am anderen Ende etwas herauskommt – wir aber nicht wissen, was dazwischen passiert ist: das sogenannte “Black-Box-Problem“, vor dem Wissenschaftler stehen.  

Den Boden vor Ort analysieren  

Mit einer völlig anderen “Black Box” sehen sich oft Tiefbau-Ingenieure konfrontiert. Die stehen allerdings weniger vor, sondern vielmehr auf dem Problem, nämlich dem Boden. Wer andern eine Grube gräbt … möchte im Optimalfall wissen, wie sich der Untergrund während und nach der Bauphase verhalten wird. Aktuell werden dafür meist Bodenproben entnommen und in Labors auf diverse Bodenparameter analysiert; Steifigkeit, Festigkeit, Durchlässigkeit, Dichte, etc. Das ist nicht nur ziemlich umständlich, sondern kostet Zeit und Geld.  

Bodenprobenentnahme und Laboranalyse (Credit: Simon Oberhohenzoller) 
Bodenprobenentnahme …
 
Bodenprobenentnahme und Laboranalyse (Credit: Simon Oberhohenzoller) 
… und Laboranalyse (Credit: Simon Oberhohenzoller) 

Die günstigere Alternative sind In-situ-Tests, oft durchgeführt mittels Drucksondierungen (CPT – Cone Penetration Test), bei denen ein kegelförmiger Messkopf in den Boden gedrückt und Druck sowie Reibung gemessen werden. Diese Messungen haben aber den großen Nachteil, dass die Bodenparameter nicht direkt aus den Testergebnissen abgeleitet werden können.

“Man kann nur gewisse Größe messen, wie beispielsweise beim CPT Versuch Mantelreibung und Spitzendruck. Zur Beschreibung von Böden, welche tatsächlich ein sehr komplexes Material darstellen, sind jedoch, je nach verwendetem Stoffmodell, eine Vielzahl an Stoffgesetzparameter notwendig. Diese können (zumindest teilweise) aus Laboruntersuchungen abgeleitet werden, eine Ableitung aus In-Situ Tests ist jedoch nur mit Erfahrungswerten oder Korrelationen möglich”, weiß Franz Tschuchnigg vom Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik der Technischen Universität Graz

Granitzer, A.-N., Rauter, S., Tschuchnigg, F.: A case study on advanced CPT data interpretation – From stratification to soil parameters. Geotechnical and Geological Engineering (2023). Under review.
Granitzer, A.-N., Rauter, S., Tschuchnigg, F.: A case study on advanced CPT data interpretation – From stratification to soil parameters. Geotechnical and Geological Engineering (2023). Under review. 
Sanduhr (Credit: annca/Pixabay)

Wir wissen, dass wir nichts wissen 

Wer aus der Baubranche kommt oder sich mit Geotechnik beschäftigt, weiß es – für manche mag es trotzdem überraschend sein, wie komplex es eigentlich ist, Vorhersagen über Böden zu treffen. Und je feinkörniger, desto schwieriger kann die Angelegenheit werden. 

Wer hätte gedacht, dass wir beispielsweise praktisch keine vernünftigen Vorhersagen über einen derart alltäglichen Stoff wie Sand treffen können? Wie wir aus einem wissenschaftlichen Artikel in der NYT gelernt haben, könnten wir eine Sanduhr bauen und mit Sandkörnern füllen – doch auch, wenn wir die Formen und Größen der einzelnen Sandkörner kennen, wären wir nicht in der Lage, vorab zu prognostizieren, wie lange der Sand benötigt, um durch die Uhr zu fließen. (Um das klarzustellen: Wir meinen damit nicht uns persönlich. Wir meinen damit uns als Menschheit, also auch deutlich schlauere Menschen als uns, die sich intensiv mit der Thematik beschäftigen!).  

Klingt abwegig – ist aber so. Für Details gibt hier eine kurze optische Zusammenfassung der Kernaussagen. 

Warum dieser Exkurs? Vor allem, weil wir es spannend fanden (und die Bilder wirklich nett sind). Aber auch, um zu demonstrieren, wie komplex das Thema tatsächlich ist. 

In einem laufenden Forschungsprojekt arbeitet Franz gemeinsam mit seinem Kollegen von der TU-Graz, Islam Marzouk, und weiteren Forschungspartnern seit vier Jahren an der Erstellung eines Rahmenwerks für die automatisierte Bestimmung der relevanten Bodenparameter – zunächst für grobkörnigen, nun auch für feinkörnigen Untergrund.

Denn: Obwohl man aus den Drucksondierungen nicht direkt auf die Bodenparameter schließen kann, gibt es eine Reihe empirischer Beziehungen, die die Bodenparameter mit den Ergebnissen von In-Situ-Tests verknüpfen. Ziel ist dann im Endeffekt ein datenbasierter Ansatz für alle Bodentypen, der es erlaubt, Parameter aus verschiedenen In-situ-Daten und Labordaten abzuleiten.

“An der Stelle sei aber angemerkt, dass Engineering Judgement weiterhin gefordert sein wird.” So muss etwa jede Probe durch einen Ingenieur überprüft und bestätigt werden. “Es ist mir wichtig zu betonen, dass diese Entwicklungen als zusätzliche Möglichkeit zur Parameterbestimmung angesehen werden sollen! Im besten Fall bestätigt die automatisierte Parameterbestimmung die Erfahrung eines Ingenieurs.” 

Nochmal für Nicht-Geotechniker, bitte: Worum geht es bei der Forschungsarbeit? 

“Aus bestimmten Messungen (ohne den Boden zu sehen) bestimmte Parameter zur Beschreibung des Verhaltens abzuleiten”, so Franz, “um weniger (aufwendige) Laboruntersuchungen durchführen zu müssen und um auf Basis von In-situ-Tests in einem frühen Planungsstadium bereits das Bodenverhalten abschätzen zu können.” 

Dafür braucht es natürlich eine gute Datenbasis. “Wir haben in der Geotechnik das Glück, dass häufig sehr viel Daten vorhanden sind bzw. gemessen werden. Dieses große Potential an „Wissen“ sollten wir auch nützen.”

Die Daten kommen zu einem großen Teil von Firmen, die selbst In-situ-Versuche durchführen, sowie diversen Open-Access-Datenbanken (z.B. https://www.dinoloket.nl/). “Jedes Forschungsprojekt”, weiß Franz, “zum Thema ML steht und fällt mit der Menge und der Qualität der Daten. However, ich sehe die KI-basierten Ansätze (vorerst) als zusätzliches Werkzeug in der Toolbox der Bauingenieure. Es benötigt nach wie vor auch transparente Systeme, um das Vertrauen für automatisierte Prozesse wie z.B. Parameterbestimmung zu gewinnen. In meiner Wunschvorstellung existieren Erfahrung, konventionelle Herangehensweise, Numerik und datenbasierte Analyse nebeneinander.” 

Franz Tschuchnigg bei der Arbeit. ”Jedes Forschungsprojekt steht und fällt mir der Qualität der Daten.” (Credit: TU Graz)
Franz Tschuchnigg bei der Arbeit. ”Jedes Forschungsprojekt steht und fällt mir der Qualität der Daten.” (Credit: TU Graz) 

Keine Angst vor der Black Box 

Der Anklang für das Projekt ist bisher sehr positiv. Immer wieder wird aber die Angst vor der “Black-Box” vorgebracht – nämlich, dass man nicht wisse, wie die Maschine im Hintergrund aus den gefütterten Daten ihre Schlüsse zieht und wie die Ergebnisse tatsächlich zustande kommen. Für Franz ist es deshalb wichtig, die Transparenz ihrer APD (Automated Parameter Determination – automatisierte Parameterbestimmung) zu betonen. Die “Denkprozesse” sollen nachvollziehbar sein und kein Ingenieurswissen verloren gehen.”   

Das transparente System ist grafenbasiert und zeigt, vergleichbar etwa mit Google Maps, verschiedene Wege von der Messung zum Parameter. Verwendet werden dabei “mehr als 150 Korrelationen und zusätzlich verschiedene In-situ-Tests. Dieses vollkommen transparente System erlaubt es dem User gewisse Pfade höher zu gewichten als andere, z.B. gewissen Korrelation, mit welchen man gute Erfahrungen gemacht hat. APD ist bereits einsatzfähig und mit einem kommerziellen FE Code [Anm.: FE steht für Finite Elemente] verbunden. Á la longue stellt sich natürlich die Frage, ob man nicht (zumindest) gewisse Korrelation mit einer data-driven Herangehensweise ersetzt. Wir arbeiten daran und sehen für einige Parameter auch sehr viel Potential, dies ist aber noch Zukunftsmusik, zuerst wollen wir diesem vollkommen transparenten System Vertrauen für die automatisierte Parameterbestimmung schaffen, was kein leichtes Unterfangen darstellt.” 

Marzouk, I. Tschuchnigg, Brinkgreve, R.B.J. 2023. Expansion of an automated system for determining soil parameters using in-situ tests.  
10th European Conference on Numerical Methods in Geotechnical Engineering (NUMGE).
Marzouk, I. Tschuchnigg, Brinkgreve, R.B.J. 2023. Expansion of an automated system for determining soil parameters using in-situ tests.  
10th European Conference on Numerical Methods in Geotechnical Engineering (NUMGE). 

Rock Science muss keine Rocket Science sein 

Nicht nur die KI muss lernen – es braucht dringend auch neue, qualifizierte Talente für Industrie und Forschung. Und auch, wenn diese von Haus aus deutlich mehr Talent in der Unterscheidung von Linealen und Tumoren haben, gibt es doch einiges an Wissen, das es zu vermitteln gilt.  

„Ich glaube, die Möglichkeiten im Bereich der Geotechnik sind enorm. Im Forschungsbetrieb und der Lehre ist es mir ein Anliegen, dem beschrittenen Weg weiter zu folgen. Als Bauingenieur macht man (meistens) keine „Rocket Science“, daher muss es Spaß machen. In der Arbeit im Büro, aber auch in der Vorlesung im Hörsaal. Es geht um Leidenschaft für das Fach, diese „Passion“ sollte kommuniziert werden!” 

Fokus auf die Lehre (Credit: TU Graz)
Fokus auf die Lehre (Credit: TU Graz)

Ein Vorsatz, den Franz offenbar erfolgreich umsetzen konnte, wurde er doch gemeinsam mit Andreas Granitzer von der TU Graz mit dem Preis für Exzellente Lehre ausgezeichnet. 

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es die beiden geschafft haben, im Zuge der Pandemie nicht einfach nur Lehrinhalte von analog auf digital zu verschieben, sondern dabei einen tatsächlichen Mehrwert für die Studierenden zu schaffen. Ein Projekt, das den beiden den wohlverdienten Titel „beste Wissensvermittler“ im internen Ranking der TU Graz eingebracht hat.

Die drei Säulen des erfolgreichen, studierendenzentrierten Lehr-Lernkonzeptes (Credit: TU Graz)
Die drei Säulen des erfolgreichen, studierendenzentrierten Lehr-Lernkonzeptes 

Und was hat Franz Tschuchnigg selbst aus diesem Projekt mitgenommen? 

„Gelernt habe ich, dass sich der Einsatz in der Lehre lohnt. Ich konnte vor vielen Jahren Andreas bei meiner Vorlesung in Leoben davon überzeugen, sein Doktorat in Graz anzutreten, und jetzt steht er mit der gleichen Leidenschaft für das Fach vor Studierenden und vermittelt ihnen, dass nicht alles, was kompliziert klingt, kompliziert ist – und vieles, was Theorie bedarf, in der Praxis Eingang findet.“ 

Ganz genau so sehen wir auch unsere Mission bei diesem Blog – denn man kann auch komplexe Inhalte verständlich und spannend formulieren und wir freuen uns, dass wir das diesmal zusammen mit einem wortwörtlich ausgezeichnetem Wissensvermittler tun durften.  

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Auch in der Freizeit geht es bei Franz steinig zu. (Credit: Franz Tschuchnigg)

Über Franz Tschuchnigg

Es ist die einzigartige Kombination aus Theorie und Praxis, die Franz Tschuchnigg an der Numerischen Geotechnik so fasziniert. Eigentlich wollte er Architekt werden. Dass es ihn dann doch in den Untergrund verschlagen hat, ist seinem Statik-Lehrer an der HTL in Graz zu verdanken. Vom Studium der Bauingenieurs-wissenschaften ging es in die Mechanik und von dort ans Institut für Bodenmechanik und Grundbau (IBG) der TU Graz, wo er mittlerweile Associate Professor ist. Die Passion, die ihm in der Schulzeit vorgelebt wurde, gibt er mittlerweile selbst an seine Studierenden weiter.

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Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.